Jakobs Kampf am Jabbok (Gen 32, 23-32) – ja, dazu werde ich unbedingt auch mal was schreiben! Und das dürfte mir auch ganz leicht von der Hand gehen. Ist ja schließlich „meine“ Geschichte. So ungefähr hatte ich mir das vorgestellt – es kam anders.
Mehrere vergebliche Versuche. Immer mal wieder ein Beginn, um ihn dann kurze Zeit später zu verwerfen. Vielleicht soll es einfach nicht sein? Besser, ich schreib über was anderes. Aber einen Bogen um die Erzählung machen? Nein!
Warum habe ich mich so schwer getan? Mein innerer Impuls, mich gerade an dieser Erzählung zu versuchen, ist besonders ausgeprägt. Und an Zeit und Muße, über die Erzählung nachzudenken und mit ihr schwanger zu gehen, hat es mir auch nicht gefehlt. Es ist wohl so: Die Erzählung ist für mich einfach sehr persönlich aufgeladen, vielleicht sogar zu sehr. Und so sei das Folgende auch verstanden: als mein ganz persönlicher Zugang zu dieser Geschichte, anknüpfend an eine nicht schöne, aber intensive Gottes-Erfahrung. Ich teile diese Erfahrung gern, weil ich so etwas wohl selbst gern lesen würde und mir vorstelle, dass jemand ähnliche Erfahrungen gemacht hat oder einmal machen wird.
Vor Jahren wies mich ein Dominikanerpater auf diese Erzählung von Jakobs Kampf am Jabbok hin, um eine Erfahrung, die ich mit Gott gemacht hatte, besser einordnen zu können. Seitdem ist diese Geschichte für mich einerseits verknüpft mit unschönen, ja ziemlich finsteren Erinnerungen, die – Gott sei Dank! – heute verblasst sind. Andererseits und vor allem verknüpfe ich die Erzählung mit einem stark gewachsenen, tiefer gewordenen Gottvertrauen und mit großer Dankbarkeit.
Die Erzählung spielt an einer Furt des Flusses Jabbok, der ein tief eingeschnittenes Tal durchfließt. Nachdem Jakob seinen Zwillingsbruder Esau um das Erstgeburtsrecht betrogen hatte und vor ihm geflohen war, kehrt er nach langer Zeit in seine Heimat zurück. Er fürchtet sich vor der Begegnung mit seinem Bruder. Ist Esau immer noch zornig? Sinnt er auf Vergeltung? Wird er ihn friedlich stimmen können? Was bedeutet es, dass Esau ihm mit 400 Mann entgegenzieht?
In derselben Nacht stand er auf, nahm seine beiden Frauen, seine beiden Mägde sowie seine elf Kinder und durchschritt die Furt des Jabbok. Er nahm sie und ließ sie den Fluss überqueren. Dann schaffte er alles hinüber, was ihm sonst noch gehörte. Als er allein zurückgeblieben war, rang mit ihm ein Mann, bis die Morgenröte aufstieg. Als der Mann sah, dass er ihn nicht besiegen konnte, berührte er sein Hüftgelenk. Jakobs Hüftgelenk renkte sich aus, als er mit ihm rang. Er sagte: Lass mich los; denn die Morgenröte ist aufgestiegen. Er entgegnete: Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest. Er fragte ihn: Wie ist dein Name? Jakob, antwortete er. Er sagte: Nicht mehr Jakob wird man dich nennen, sondern Israel – Gottesstreiter – ; denn mit Gott und Menschen hast du gestritten und gesiegt. Nun fragte Jakob: Nenne mir doch deinen Namen! Er entgegnete: Was fragst du mich nach meinem Namen? Dann segnete er ihn dort. Jakob gab dem Ort den Namen Peniël – Gottes Angesicht – und sagte: Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen und bin doch mit dem Leben davongekommen. Die Sonne schien bereits auf ihn, als er durch Peniël zog; er hinkte an seiner Hüfte. (Gen 32, 23-32)
Merkwürdig, wie Jakob zunächst mit einem „Mann“ ringt, der ihn nicht besiegen kann, und mit ihm bis zur Morgenröte so lange weiter ringt, bis er schließlich von ihm gesegnet wird. Für Jakob war es Gott, mit dem er gerungen und der ihn gesegnet hat.
Aber hat Jakob Gott tatsächlich den Segen abgerungen? Muss ein barmherziger Gott erst zum Segnen gezwungen werden? Mit wem hat Jakob gerungen? Die Erzählung wirft Fragen auf und lässt Deutungsspielraum.
Als es mir damals schlecht ging und ich mich in bedenklicher mentaler Schieflage befand, fragte ich mich: Sieht Gott denn nicht, wie schlecht es mir geht? Er soll mir doch endlich helfen! Ich habe versucht, mit Gott zu rechten. Vorwürfe habe ich ihm gemacht und mich sogar von ihm abgewendet oder zumindest so getan – und doch nur, um ihn zu einem Eingreifen zu provozieren. Und im selben Moment: Wie benimmst Du Dich gegenüber Gott! Das gehört sich nicht! Gedanken, die mich noch zusätzlich begleiteten und auch belasteten. Aber irgendwie fühlte ich mich so, als könnte ich nicht mehr viel verlieren. Und auch wenn ich Gott innerlich vorwurfsvoll gefragt habe „Ist da jemand?“, so hätte ich diese Frage doch in jedem Augenblick mit „ja“ beantwortet.
Es war ein intensives Ringen mit hohem Einsatz, von dem ich doch tief im Inneren überzeugt war, dass es etwas bewirken, ja dass es nicht vergebens sein würde. So sehe ich es zumindest in der Rückschau. Ich hielt es für notwendig, Gott an mich und an seine Zusage gegenüber mir zu erinnern. Ist Gott nicht der, der mich bedingungslos liebt und zu mir hält?
Aber mit wem habe ich tatsächlich gerungen? Gott war mit seinem Segen immer zugegen, auch und gerade als es mir schlecht ging. Davon bin ich überzeugt. Und Gott hat mir eine wichtige Erfahrung geschenkt, die ich mir zwar bestimmt nicht selbst ausgesucht hätte, die aber mein Vertrauen zu ihm vertieft und meinen Glauben intensiviert hat.
So wie es in der Erzählung offen bleibt, wer der „Mann“ ist, mit dem Jakob bis zur Morgenröte ringt, so kann es für mich nicht Gott gewesen sein, dem ich seine Hilfe, seinen Segen erst abringen musste. Es war wohl eher eine Dunkelheit in mir selbst, mit der ich gerungen habe. Gott knüpft seinen Segen nicht an Bedingungen, aber ich habe diesen Ringkampf in der Dunkelheit offenbar gebraucht, auch um empfänglich zu werden für Gottes Segen, für sein Licht, mit dem er mein Leben erhellt.
S.H., 23.02.2021