Durst kennt jeder. So ein elementares Gefühl muss man niemandem erklären. Was dagegen hilft? Trinken natürlich! Einfach den Hahn aufdrehen, schon kommt Wasser raus. Ist besser als süße Limonade, erkläre ich meiner Tochter. Davon möchte man immer mehr trinken.
Durst als Leidensdruck und (Lebens-)Bedrohung gibt es in unseren Breiten ohnehin nicht. Gott sei Dank. In der Wüste dagegen, in Hitze und Wasserknappheit, bedeutet Durst zu haben, etwas ganz Anderes. Da ist auch das Bewusstsein ausgeprägter: Wasser ist lebensnotwendig!
Jesus verwendet dieses Bild. Er kennt seine Zuhörer – und die Bilder, mit denen er ihre Herzen erreicht, Sehnsüchte berührt und in Worte kleidet. Die Samaritanerin am Brunnen bittet er, ihm zu trinken zu geben, um ihr wenig später von einem ganz anderen, lebendigen Wasser zu erzählen, das er ihr geben kann:
„Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zu einer Quelle werden, deren Wasser ins ewige Leben fließt” (Joh 4,14).
Jesus spricht von einem Wasser, das auch meinen Durst löscht, der ich nie körperlich unter Durst gelitten habe: Er meint meine Sehnsucht, das, was mein Herz unruhig sein lässt, mir manchmal sogar den Schlaf raubt.
Aber wie passt das zusammen: Die von Gott in mich gelegte Sehnsucht und ein lebendiges Wasser, das Jesus mir verspricht, von dem ich niemals mehr Durst haben werde? Mache ich nicht die Erfahrung, dass sich immer wieder ein neues Verlangen auftut, dass nach Erfüllung der einen Sehnsucht eine neue entsteht? Ist meine Sehnsucht nicht etwas Unstillbares? Und wäre das überhaupt erstrebenswert, so sehnsuchtslos zu sein?
Die Samaritanerin missversteht Jesus zunächst. Sie bittet ihn um sein lebendiges Wasser, damit sie sich zukünftig den mühsamen Weg zum Brunnen sparen kann. Ja, warum tut sie sich so schwer zu begreifen, was Jesus meint? So denke ich. Ist doch offensichtlich, möchte ich ihr zurufen, dass mit dem „lebendigen Wasser“ nicht das Wasser im Brunnen gemeint ist!
Aber ist mir so klar, was Jesus mit dem „lebendigen Wasser“ tatsächlich meint – nur weil ich mehr über ihn zu wissen glaube als die Samaritanerin? Könnte es nicht sein, dass meine Vorstellung vom lebendigen Wasser, das Jesus auch mir verspricht, noch viel zu klein gedacht ist; dass sein lebendiges Wasser meine kühnsten Erwartungen übersteigt – weil es meinen Durst so ganz anders löschen wird, als ich mir jetzt vorstellen kann?
Jesu Zusage gilt. Das lebendige Wasser, das er mir verspricht, löscht meinen Durst – aber anders als ich es vielleicht erwarte oder mir wünsche. Es löscht meinen Durst, indem es ihn zu etwas Dynamischem werden lässt. Das Wasser, das er mir gibt, „lässt mich selbst zu einer Quelle werden, deren Wasser ins ewige Leben fließt” (Joh 4,14). Leben mit Jesus, Leben, das sich aus seinem lebendigen Wasser speist, ist auf Dynamik hin angelegt. Sein Wasser verändert mich und lässt mich selbst durch die von ihm in mich gelegte Sehnsucht zur Quelle lebendigen Wassers für andere werden. Er hält viel Größeres für mich bereit als nur keinen Durst, keine Sehnsucht mehr zu haben.
Möglich wird das, weil Gott in Jesus Christus selbst zum Dürstenden geworden ist, weil er für uns am Kreuz gestorben oder, wie arabische Christen sagen, am Kreuz verdurstet ist. Er kennt auch meinen Durst.
Bin ich bereit, meine Sehnsucht von seinem lebendigen Wasser verwandeln zu lassen?
[Zum Nachlesen: Die Geschichte von Jesus und der Samaritanerin findet sich in der Bibel im Neuen Testament im 4. Kapitel des Johannesevangeliums, Vers 7-26.]S.H., 13.9.2019